Zum Tag des Geweihten Lebens erging in bereits guter Tradition an alle Ordensleute der Erzdiözese die Einladung zur gemeinsamen Vesper mit Erzbischof Dr. Franz Lackner am Abend des 1. Februar 2023 in der Kapelle der Barmherzigen Schwestern. Unserer Mutter M. Veronika wurde dabei die Ehre zuteil, das Evangelium des Tages (Lk 2, 25-39, in der Übersetzung der Basisbibel) auszulegen.
Lk 2,25-39
Damals lebte in Jerusalem ein Mann namens Simeon. Er lebte gerecht vor Gott und vertraute ganz auf ihn. So wartete er auf den Trost, den Gott Israel schickt. Der Heilige Geist leitete ihn. Durch den Heiligen Geist hatte Gott ihn wissen lassen: »Du wirst nicht sterben, bevor du den Christus des Herrn gesehen hast.« Jetzt drängte ihn der Heilige Geist, in den Tempel zu gehen. Gerade brachten auch die Eltern ihr Kind Jesus dorthin. Sie wollten die Vorschriften erfüllen, die im Gesetz für ihr Kind vorgesehen sind. Simeon nahm das Kind auf den Arm. Er lobte Gott und sagte:
»Herr, jetzt kann dein Diener in Frieden sterben,
wie du es versprochen hast.
Denn mit eigenen Augen habe ich gesehen:
Von dir kommt die Rettung.
Alle Welt soll sie sehen –
ein Licht, das für die Völker leuchtet
und deine Herrlichkeit aufscheinen lässt
über deinem Volk Israel.«
Der Vater und die Mutter von Jesus staunten über das, was Simeon über das Kind sagte. Simeon segnete sie und sagte zu Maria, der Mutter von Jesus: »Dieses Kind ist dazu bestimmt, in Israel viele zu Fall zu bringen und viele aufzurichten. Es wird ein Zeichen Gottes sein, dem viele sich widersetzen. So soll ans Licht kommen, was viele im Innersten denken. Und für dich, Maria, wird es sein, als ob ein Schwert deine Seele durchbohrt.«
Es war auch eine Prophetin im Tempel. Sie hieß Hanna und war eine Tochter Penuels aus dem Stamm Ascher. Hanna war schon sehr alt. Nach ihrer Hochzeit war sie sieben Jahre mit ihrem Mann verheiratet gewesen. Seitdem war sie Witwe und nun vierundachtzig Jahre alt. Sie verließ den Tempel nicht mehr und diente Gott Tag und Nacht mit Fasten und Beten. Jetzt kam sie dazu und lobte Gott. Dann erzählte sie allen von dem Kind, die auf die Rettung Jerusalems warteten.
Josef und Maria erfüllten im Tempel alle Vorschriften, die das Gesetz des Herrn vorsieht. Dann kehrten sie nach Galiläa zurück in ihre Heimatstadt Nazaret.40Jesus wuchs heran. Er war ein kräftiges Kind. Gott schenkte ihm immer mehr Weisheit, und seine Gnade begleitete ihn.
Ansprache von Mutter M. Veronika
„Simeon lebte gerecht vor Gott und vertraute ganz auf Ihn. So wartete er auf den Trost, den Gott Israel schickt.“ So haben wir eben die Übersetzung der Basis-Bibel gehört. Dieses Evangelium ist so vertraut, dass mir sofort der Unterschied auffiel: Simeon war gerecht und fromm – so kennen wir ihn. Doch hier heißt es: er lebte gerecht vor Gott und vertraute ganz auf Ihn.
Was heißt dieses: er vertraute ganz auf Gott? Was heißt das für mich? Unweigerlich kam mir die arme Witwe in den Sinn, die ihre einzigen beiden kleinen Münzen in den Opferkasten wirft. Sie, der es am Nötigsten mangelt, so erläutert Jesus, hat ihren ganzen Lebensunterhalt hineingeworfen. Sie versinnbildlicht für mich, was es heißt, ganz auf Gott zu vertrauen, denn es ist nicht unwesentlich, dass sie noch 2 Münzen hatte. Damit bestand immer noch die Möglichkeit einer halben Sache. Sie hätte eine geben und eine behalten können, auch dann wäre ihr Opfer noch beachtlich gewesen, aber eben kein Ganzopfer mehr, kein vorbehaltloses, uneingeschränktes Vertrauen mehr. Haben nicht auch wir in der Profess unsere beiden Münzen – alles, was wir sind und haben, Ihm hingegeben, uns Ihm als „Ganzopfer“ geschenkt? Haben nicht auch wir unser ganzes Vertrauen auf Ihn gesetzt, um uns von Ihm leiten zu lassen wie es auch von Simeon weiter heißt: Der Heilige Geist leitete ihn.
Simeons Vertrauen wurde genährt von einer Verheißung, denn er hatte von Gott die Zusage erhalten: »Du wirst nicht sterben, bevor du den Christus des Herrn gesehen hast.« D.h. Simeon lebt in einer großen Erwartung, eine Sehnsucht erfüllt ihn. Er wartet nicht auf etwas, sondern auf jemand, für den es sich lohnt zu warten. Er wartet auf jemand, der seinem Leben einen Sinn gibt. Und – das ist ganz wesentlich – er wartet nicht nur für sich, sondern er wartet für und mit seinem Volk: auf den Trost, den Gott Israel schickt. Er wartet und wacht – und er tut es voll Interesse, ununterbrochen und hellwach, denn was seit Jahrhunderten durch die Propheten angekündigt wurde, soll sich erfüllen und ihm offenbar werden. Spüren wir, welche Sehnsucht da in ihm aufgebrochen sein muss und zugleich, welche Erschütterung! Denn „durch den Heiligen Geist hatte Gott ihn wissen lassen: Du wirst nicht sterben, bevor du den Christus des Herrn gesehen hast.“ Diese Verheißung befähigt ihn, sich ganz Gott zu überlassen. Ja, nicht nur sein Leben, auch seinen Tod, sein Sterben Gott zu überlassen. Das Größte in seinem Leben liegt noch vor ihm. So wird dieses wartende Wachen und wachende Warten genährt von der tiefen Sehnsucht, den Christus, den Herrn, zu sehen, die sich nun erfüllen soll, da die Eltern ihr Kind Jesus in den Tempel bringen.
Jetzt drängte ihn der Heilige Geist, in den Tempel zu gehen. Er muss in den Tempel geführt werden, denn er war draußen im Gegensatz zu Hanna, von der es heißt, dass sie den Tempel nicht mehr verließ. Simeon war draußen in der Welt, lebte im gewöhnlichen Alltag und so nahm er die Welt mit ihren Nöten mit hinein in den Tempel, an den Ort der Gottesbegegnung. Indem er dem Drängen des Geistes folgt, erfüllt sich an diesem Ort, als er das Kind auf den Arm nimmt seine Erwartung für ihn, für sein Volk, ja für die ganze Welt. Er lobt Gott und bezeugt: Mit eigenen Augen habe ich gesehen:
Simeon, so möchte ich fragen: was hast du gesehen? Täglich werden doch so viele Kinder in den Tempel getragen, doch vom keinem wird bezeugt, dass du es auf den Arm nahmst. Und nun nimmst du das Kind mit Namen Jesus auf den Arm und erkennst: „Von dir kommt die Rettung. Alle Welt soll sie sehen“. Vielleicht muss ich fragen: wie hast du gesehen, wie konntest du das erkennen? Mir kommt in den Sinn: Einzig, weil dich deine Sehnsucht zu einem Suchenden gemacht hat, zu einem Gottsucher. „Ob einer wahrhaft Gott sucht“, ist für den hl. Benedikt ein wesentliches Kriterium auf dem Weg der Nachfolge. Du, Simeon, hast wahrhaft Gott gesucht in den Schriften und im Gebet und hast dir ein gerechtes, ein reines Herz erworben: „Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen.“ Du hast mit den Augen des Herzens gesehen, was den Augen verborgen war: „Von dir kommt die Rettung. Ein Licht, das für die Völker leuchtet und deine Herrlichkeit aufscheinen lässt über deinem Volk Israel.«
Jesus mit den inneren Augen der Seele zu sehen, seine Gottheit erkennen, sei es in der Demut der Menschwerdung, sei es in der liebenden Hingabe in Seinem Leiden und Sterben, in der Verborgenheit der Eucharistischen Gestalten. Jesus zu erkennen in unseren Nächsten, ja in allen Menschen, besonders in den Armen, das wird uns geschenkt, wenn wir die Augen unseres Herzens ruhig auf Gott richten dann wird uns schon hier ein Stück Himmelreich aufleuchten.
Im Suchen, und in jeder Erkenntnis, durch die wir die Größe der Herrlichkeit Gottes tief innerlich schauen und betrachten dürfen, wächst die Liebe zu Gott und die Sehnsucht nach Ihm. Gott wird unsere ganze Liebe sein, das Ziel unseres Suchens und Bemühens, der Inhalt unserer Gedanken. Er wird die Kraft unseres vorbehaltlosen Vertrauens sein. Wir werden für Ihn leben, von Ihm sprechen, Ihn atmen und bezeugen. Möge auch uns, wie dem greisen Simeon, eine brennende, nie zu stillende Sehnsucht nach Gott erfüllen.
So wie Simeon voll Interesse und ununterbrochen wachend zu warten und wartend zu wachen, das ist unser Dienst für Kirche und Welt. Und dabei Jesus zu begegnen, Ihn in die Arme zu nehmen und Ihn anzuschauen. Aus dieser Begegnung Kraft, Hoffnung und auch Antwort für die Sorgen und Nöte unserer Zeit finden – Darauf warten die Menschen auch in unseren Tagen. Bezeugen wir mit unserem Leben und Sterben:
„Von dir kommt die Rettung. Ein Licht, das für die Völker leuchtet und deine Herrlichkeit aufscheinen lässt über deinem Volk Israel. Alle Welt soll sie sehen.«