„Höre auf die Stimme des Meisters“, fordert uns der hl. Benedikt am Beginn seiner Regel auf und verweist wenig später darauf, dass er eine Schule gründen will. Also hat er wahrscheinlich eine Musikschule im Sinn. Denn wo sonst steht „Gehörbildung“ auf dem Lehrplan? Da versteht es sich also von selbst, dass das erste Ziel sein muss, allen möglichst schnell beizubringen, den Ton anzugeben. Aber … will Benedikt wirklich eine Musikschule gründen, also nur für Musiker?
Doch: Halt! Wir haben ihm nicht richtig zugehört! „Wir wollen also eine Schule für den Dienst des Herrn einrichten“, so sagt er. Da haben wir doch glatt die Hälfte des Satzes überhört! „Eine Schule für den Dienst des Herrn“ – also doch keine Musikschule. Und warum steht dann „Gehörbildung“ auf dem Lehrplan? Ist doch komisch, oder? Der hl. Benedikt war anscheinend davon überzeugt, dass Gehörbildung kein Pflichtfach nur für Musiker, sondern für uns alle notwendig ist. Warum spricht er dann aber von einer „Schule für den Dienst des Herrn“? Er hätte doch gleich sagen können „eine Schule des Hörens“.
Erlauben Sie mir die Zwischenfrage: Hören Sie eigentlich gut? Hören Sie noch gut oder hören Sie schon gut? – Sie stutzen? Ich meine: Haben Sie schon angefangen mit dem Hören? Vielleicht möchten Sie jetzt erwidern: „Angefangen mit dem Hören? Mit dem Hören kann man doch nicht anfangen, das geht doch automatisch“. Das stimmt – aber nur zum Teil! Womit hören Sie, wenn Sie hören? Nur mit den Ohren?
Diesbezüglich ist der hl. Benedikt nämlich anderer Meinung, denn für ihn gibt es noch weitere Hörorgane: das Herz und das Auge. Offensichtlich ist es ihm ein Anliegen, dass wir „ganz Ohr“ sind. Ständig erinnert er uns an das Hören – allein 11 Mal in den 50 Versen des Prologs zur Regel! „Neige das Ohr deines Herzens“, lesen wir da, und „hören wir mit angedonnerten Ohren“.
Nun gut, mit dem Herzen hören, ist ja noch irgendwie verständlich … aber was ist das „Hören mit den Augen“? An einer anderen Stelle seiner Regel schreibt Benedikt „wenn der Bruder merkt, dass ein Älterer innerlich gegen ihn erzürnt oder ein wenig erregt ist“ – ist das nicht ein Hören mit den Augen? Der Ältere sagt gar nichts und trotzdem kommt beim Mitbruder eine Botschaft an.
Gott hat uns Menschen also mit einer dreifachen Möglichkeit des Hörens ausgestattet, und dass wir diese Fähigkeit für unser Leben dienstbar und fruchtbar machen, ist ein zentrales Anliegen Benedikts. Uns ist ja von Gott das „Leben in Fülle“ verheißen, doch nur der, der richtig hören kann, wird es in seiner ganzen Fülle erfahren und entdecken – und wer will denn das nicht?! Nur wer dreifach hört, hört die Töne, spürt die Zwischentöne und vernimmt die tonlosen Töne. Und wer richtig zu hören vermag, ist seinen spontanen Reaktionen immer schon einen Schritt voraus, sodass er sie lenken kann, statt von ihnen getrieben zu werden. Gerade im Miteinander ist gibt es viele wortlose Botschaften, die es zu hören gilt. Wer gelernt hat zu hören, wird sie hören anstatt sie zu überhören, und er wird dann bei der Antwort auch leichter den richtigen Ton treffen. Denn überall gilt ja: „der Ton macht die Musik.“
Doch jetzt haben wir noch immer eine Frage nicht beantwortet: Warum spricht der hl. Benedikt von einer Schule des Dienstes, wenn es ihm so sehr um das richtige Hören geht? Wer für andere dasein möchte (und das meint „dienen“), muss hören können. Hören können auf die Bedürfnisse, Anliegen, Wünsche, Sehnsüchte all derer, für die er da sein möchte. Hören und dienen bedingt sich gegenseitig. Wer hören kann, wird in rechter Weise dienen. Jetzt wissen wir, warum der hl. Benedikt der „Gehörbildung“ eine solche Priorität im Lehrplan seiner Schule zugewiesen hat.
Eine Schule – also doch nicht nur für Musiker!