… über seine Regel
Lieber hl. Benedikt, es ist mir eine große Freude, dass du mir diese Gelegenheit zum Gespräch schenkst. Papst Gregor schreibt in der Vita über dich, du konntest nicht anders lehren, als du lebtest, und das bezeugen viele deiner Schüler wie Constantin, Valentinian, Simplicius und Honoratus. Wir nehmen an, dass du deine Mönchsregel auf Montecassino zwischen 530 und 560 verfasst hast. Es fällt auf, dass die Kapitel 1 bis 66 zusammengehören und die Kapitel 67 bis 73 Ergänzungen sind. Was möchtest du uns dazu sagen?
Benedikt: Wem viel gegeben wird, von dem wird auch viel verlangt, sagt uns der Herr. In allem soll Gott verherrlicht werden, daher braucht es eine Ordnung unter der Führung des Evangeliums. Die Heilige Schrift ist die eigentliche Regel, alles andere hat der Schüler beim Meister gelernt, und das habe ich versucht zusammenzutragen. Viele bewährte Vätertexte habe ich übernommen, einiges, was mir für unsre Zeit überholt schien, weggelassen, und so hat sich nach und nach alles gefügt, was der Geist den Gemeinden und Gemeinschaften sagen wollte. Ergänzungen ergaben sich, um den monastischen Grundkonsens zu sichern. Es ging einfach darum, für kommende Generationen sicher zu stellen, wie wir als Mönche leben sollen.
Stimmt es, dass du etwa 30 verschiedene monastische und katechetische Schriften in deine Regel aufgenommen hast? Heutzutage würde man das als Plagiat bezeichnen, doch wie ich erfuhr, war es in der Antike üblich, Texte von anderen Autoren zu übernehmen und zu bearbeiten.
Benedikt: Es handelt sich dabei ja um einen Gebrauchstext, und es geht nicht um Originalität. Nirgends wirst du darin meinen Namen finden, noch beanspruchte ich ein Honorar. Dass ich aus so vielen verschiedenen Quellen schöpfen konnte, zeigt den Reichtum christlicher Tradition. Alles was mich der HERR wissen ließ, konnte ich in die Regel aufnehmen. Oftmals waren es auch aktuelle Fragen der Brüder und Ereignisse im Zusammenleben, die eine konkrete Antwort und Weisung erforderten. Was sich bewährt hat und wert war weitergegeben zu werden, das habe ich aufgeschrieben. Es ging um die Sicherung der Standards des monastisch-klösterlichen Lebens.
Deine Kenntnisse der Heiligen Schrift, der Taufunterweisungen, der Vätertexte, sowie der Mönchsregeln spiegeln sich in ihrer ganzen Bandbreite in der Regel. Es ist erstaunlich, wie verinnerlicht du das alles hast und auf welche Weise du uns das vermittelst: „nihil asperum, nihil grave“ wolltest du mit dieser Regel anordnen, wie du im Prolog formulierst. Deine Weisungen, selbst in den sogenannten „Strafkapiteln“ sind immer so, dass sie der Heilung dienen, darin unterscheidet sich oftmals deine Weisung von den Vätertexten. Dieses weise Maß in allen Dingen war dir wohl ein großes Anliegen?
Benedikt: Im Blick auf Christus, dem guten Hirten, der dem verlorenem Schaf nachging, ist es notwendig, die kluge Unterscheidung, die Discretio, zu üben. Um der Discretio willen, und den veränderten Zeitumständen entsprechend, habe ich kritische Kontinuität beim Übernehmen des Regelwerkes, besonders des Magisters, geübt. Die Compassion mit den Schwachen (infirmi), wie du beispielsweise im Kapitel 27,9 lesen kannst, hat Vorrang vor Strenge. Seelen gewinnst du durch Caritas und Gebet, kaum durch harte Maßnahmen.
Ich: Was in der Regel besonders ins Auge fällt, ist, dass du immer jeden einzelnen im Blick hast, und nie die Masse. Es werden nicht alle einfach über einen Kamm geschoren. Die Wertschätzung jedes einzelnen macht diese Regel doch so besonders, finde ich.
Benedikt: Christus hat für jeden einzelnen sein Leben hingegeben. Der Schüler kann nicht anders als der Meister handeln. Die Aufgabe des Abtes ist, den Eigenarten vieler zu dienen, und nicht zu herrschen. Die Menschen sind immer in Gefahr, Macht auszuüben über andere, anstatt zu dienen. Christus hat die Apostel gelehrt durch sein Beispiel der Fußwaschung und des Gehorsams dem Vater gegenüber. Diesem Beispiel folgend, dient und gehorcht, der Mönch und die Nonne, zuerst und in allem Christus. Christus in allem, das ist das Programm für Vorsteher wie auch für die Brüder. Dann wird an der Gemeinde und Gemeinschaft die Liebe Christi, der uns zuerst geliebt hat, sichtbar.
Mit den Worten „ora et labora et lege“ wird das Charisma deiner Regel zusammengefasst – dabei hast du das gar nicht so geschrieben. Bist du damit einverstanden?
Benedikt: Ja, durchaus. Dieser Dreiklang prägt den Tag der Mönche und ist für eine Gemeinschaft normativ, damit in allem Gott verherrlicht werde. Gott in allem zu verherrlichen, beinhaltet die beständige Gottsuche, die eigentliche Voraussetzung um Mönch zu werden. Welche Berechtigung hätte sonst ein Monasterium, wenn es nicht um Christus in allem geht?
Damit sprichst du das Ziel an. Immer wieder, an verschiedenen Stellen in der Regel, weist du uns den Weg dahin, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Wie gelingt es?
Benedikt: Mit Blick auf Christus. Wenn du hörst, wirst du ankommen – das ist der Spannungsbogen der Regel, das erste und das letzte Wort. Amen.
Heiliger Benedikt, ich danke dir, dass du mir einen erneuerten Blick auf deine Weisungen geschenkt hast. Darf ich dich noch um ein Wort bitten, welches du mir besonders ans Herz legen möchtest aus deiner Regel?
Benedikt: Verlass den Weg des Heils nicht, der am Anfang nun einmal eng sein muss. Sobald du aber im klösterlichen Leben und im Glauben Fortschritte machst, weitet sich das Herz, und du läufst den Weg der Gebote Gottes in unsagbarer Freude der Liebe. (RB Prolog 48-49)