Die Noviziatswerkwoche 2021 der Föderation der Bayerischen Benediktinerinnen führte unsere jungen Mitschwestern Sr. Maria Gratia und Sr. Benedicta zusammen mit Magistra Sr. Eva-Maria vom 30. August – 3. September nach Prag. Dort leben vier Benediktinerinnen der Abtei Venio (drei Tschechinnen, eine Deutsche) ihr monastisch-apostolisches Leben an einen historisch bedeutsamen Ort: am Weißen Berg (Bila Hora), wo während des 30-jährigen Krieges im Jahre 1620 das kaiserliche Heer der Habsburger (katholisch) und das Heer der Böhmen/Prager Stände (protestantisch) aufeinandertrafen. Trotz ihrer besseren Ausgangsposition wurden die Böhmen besiegt – ein für die tschechische Bevölkerung bis heute schmerzendes Ereignis, das zugleich den Beginn der Rekatholisierung von Böhmen und Mähren markiert.
Das Kloster der Schwestern befindet sich neben der Kirche „Maria vom Siege“, die Anfang des 18. Jh. in Erinnerung an die Schlacht errichtet wurde, und liegt im historisch-politischen (österreichisch/deutsch-böhmisch) und konfessionellen (katholisch-evangelisch) Spannungsfeld; so versteht die Abtei Venio diesen Ort zugleich als Gabe und Aufgabe an der Versöhnung mitzuwirken. Aus diesem Spannungsfeld ergab sich auch die inhaltliche Gestaltung der Werkwoche.
Lesen Sie nun den Bericht unserer Mitschwestern:
Während unseres Aufenthaltes in Prag und am Weißen Berg lernten wir viele geschichtliche und konfessionellen Zusammenhänge und Entwicklungen besser verstehen. Aus dem Geschichtsunterricht bekannte Fakten wie „Schlacht auf dem Weißen Berg“ und „Konfessionskriege“ wurden plötzlich konkret und gewannen durch die Betrachtung von mehreren Seiten und den Austausch mit den tschechischen Mitschwestern an Profil. Aus ihren Erzählungen erfuhren wir auch, was es bedeutete, in einem Land aufzuwachsen, in dem die Kirche bis 1990 vielfach nur im Untergrund existierte, wo Gottesdienstbesuch nur fernab des Wohn- und Ortsortes möglich war, wo Kinder lernten zu sagen „wir gehen spazieren“ anstatt „wir gehen in die Kirche“, weil das die Familie in Gefahr gebracht hätte, wo Ordenseintritte nur heimlich möglich waren und Klöster und Kirchen vom Staat beschlagnahmt und zweckentfremdet worden waren, … – und wie stark der Ruf Gottes war, der sie zum benediktinischen Ordensleben führte, das es für Frauen in Tschechien nicht gab. Hätten nicht Sr. Anežka und Sr. Petra den Mut gehabt, in einem polnischen Benediktinerinnenkloster ihr klösterliches Leben zu beginnen, auch getragen von der Hoffnung irgendwann, wenn es mehrere tschechische Mitschwestern geben würde, den Weg zurück nach Tschechien gehen zu können, um dort eine benediktinische Niederlassung zu gründen, und hätten sie dabei nicht die Abtei Venio kennengelernt, so gäbe dieses Kloster auf dem Weißen Berg jetzt nicht – ein Weg voller Mut, Hoffnung und Gottvertrauen!
Das reichhaltige Programm ließ uns dem Thema entsprechend ein Prag abseits der üblichen Touristenpfade entdecken.
Am Montag besuchten wir die Gedenkstätte Mohyla auf dem Weißen Berg und das Versöhnungskreuz, das erst im vergangenen Jahr aufgestellt wurde. Am Dienstag führte uns Abt Daniel Janáček OPraem. durch das Prämonstratenserkloster Strahov, in dessen prachtvoller Kirche seit dem 17. Jh. die Reliquien des hl. Norbert von Xanten ruhen (sie wurden im Zuge der Rekatholisierung aus der protestantisch gewordenen Stadt Magdeburg überführt!). Anschließend gewährte uns P. Ambrosius einen Einblick in die beiden großen historischen Bibliotheksräume.
Am Mittwoch brachte uns evang. Pfr. Gerhard Frey-Reininghaus die Geschichte der protestantischen Kirche in Böhmen näher, von den Anfängen der Reformation unter Jan Hus über die Bewegung der Utraquisten, die für die Feier des Abendmahls mit Brot und Kelch eintraten (= unter beiderlei Gestalt; darum der Name Utraquisten) bis zur heutigen „Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder“. Ausgangspunkt für den Stadtrundgang auf den Spuren der Protestanten war die Kirche „St. Martin in der Mauer“, in der im Jahr 1414 zum ersten Mal das Abendmahl mit Kelchkommunion für die Gläubigen gefeiert wurde. Von dort ging es weiter über die Bethlehemskapelle, in der Jan Hus gepredigt hatte, zum Altstädter Ring, wo 1621 die Anführer der protestantischen Truppen hingerichtet worden waren und wo sich auch ein großes Denkmal zu Ehren von Jan Hus sowie die Teynkirche befinden. Abschließend lud uns Pfr. Frey-Reininghaus in den Hauptsitz der Evangelischen Kirche ein, wo er uns die heutige Struktur und Organisation der Kirche (52 Pfarrgemeinden in Tschechien) erläuterte sowie von der vielfältigen ökumenischen Zusammenarbeit berichtete.
Am Donnerstagvormittag brachte uns Sr. Petra die Kirche bzw. die Gedächtnisstätte auf dem Weißen Berg und ihre Geschichte näher. Nachmittags besuchten wir die ehemalige Benediktinerinnenabtei St. Gabriel in Prag-Smichov, die 1890 als erste Frauenabtei der Beuroner Kongregation gegründet und mit Schwestern vom Nonnberg besiedelt wurde. Die Abtei erlebte durch die vielen Eintritte ein rasantes Wachstum und eine große Blüte, die jedoch bereits 1919 durch die Ausweisung aller deutschsprachigen Schwestern ein abruptes Ende fand. Die Gemeinschaft musste mit Hab und Gut Prag verlassen und ließ sich in Bertholdstein bei Fehring (Steiermark) nieder, wo sie bis 2008 die gleichnamige Burg bewohnten. (Nun lebt die Gemeinschaft in einem neuen Kloster in St. Johann ob Herberstein.) In St. Gabriel führte uns Monica Bubna-Litic, die sich sehr für den Erhalt des Gebäudes und der Kirche mit ihren für Tschechien einzigartigen Malereien aus der Beuroner Kunstschule einsetzt, durch Kloster und Kirche. Das Kloster befand sich viele Jahre in Besitz der tschechischen Post, die es als Postmuseum genutzt und darin auch Büroräume eingerichtet hatte. Dabei wurden viele Bereiche umgestaltet, Zwischendecken und Trennwände eingezogen, sodass das ursprüngliche Aussehen und die Nutzung der Räume oft erst rekonstruiert werden müssen. Trotzdem war es für uns Nonnbergerinnen etwas Besonderes in diesem Haus, das Mitschwestern von uns gebaut und besiedelt hatten, sein zu dürfen. Nun steht das Kloster bereits seit Längerem leer und ist sehr renovierungsbedürftig. Die Klosterkirche wurde bis vor kurzem als Kirche benutzt und ist grundsätzlich in gutem Zustand, wenngleich Schäden an den Wandmalereien davon zeugen, dass das Dach undicht und dringend reparaturbedürftig ist. Man kann nur hoffen, dass sich bald eine dem Gebäude adäquate Nutzung finden lässt, die Kloster und Kirche vor dem Verfall bewahrt.
Am Freitag erkundeten wir vor der Heimreise noch die Prager Burg, besuchten den Veitsdom und die romanische St. Georgs-Kirche, bei der im 10. Jh. das erste Benediktinerinnenkloster Böhmens gegründet worden war, und spazierten abschließend durch das Goldene Gässchen.
Beschenkt durch die vielfältigen Eindrücke, Erlebnisse und Begegnungen dieser Tage und gestärkt durch den Austausch mit den Mitschwestern aus den Abteien Venio, St. Walburg/Eichstätt und Maria Frieden/Kirchschletten fuhren wir nach Hause zurück. Die Noviziatswerkwoche 2021 wird uns noch lange in Erinnerung bleiben!
Unser Wunsch für die Mitschwestern am Weißen Berg: Mögen viele junge Frauen aus Tschechien dieses Kloster entdecken und ebenfalls den Mut finden, ein Leben als Benediktinerin zu beginnen und an der Versöhnung der Menschen und Konfessionen mitzuwirken!